Vorgeschichtliche Siedlungen in der Sylter Marsch
Die Beschreibung der Fundstelle 139 findet man in dem Buch „Vorgeschichte der nordfriesischen Inseln“ von Karl Kersten & Peter La Baume, Seite 460.
„Sehr große flachgewölbte Kuppe mit sanft in der Umgebung auslaufenden Rändern, in der Mitte höher gelegener Kern von 0,60 – 0,80 m Höhe, im Jahr 1938 durch einen O-W verlaufenden Graben durchschnitten und hierbei eine vorgeschichtliche Siedlung freigelegt.
Die Kuppe besteht an den aufgeschlossenen Stellen aus Humusboden von etwa 1 m D. Dazwischen liegen Holzkohlestückchen, Gefäßscherben, eine Anzahl von Feuersteinabschlägen und Splitter eines geschliffenen Steinbeils. Die Funde wurden nur auf dem sandigen Boden der Ansiedlung geborgen, wo sie einen dünnen Horizont bildeten“.
Ähnliche Hinweise findet man auf der gleichen Seite über steinzeitliche Siedlungen in den südlich von Keitum gelegenen Fundstellen 144, 145 und 146.
(Roter Stern auf der Meeresspiegelkurve)
Auf der Karte befinden sich die Höhenangaben für das Marschland in einem grünen Kreis (Stand 1929). Flachgewölbte Kuppen über 2 Meter sind ohne Markierung.
„Die Kuppen bestehen aus einem Geestkern, der mit einer dünnen Sand-oder Kleischicht überlagert ist. Bei der Fundstelle 139 hat der angeschnittene Teil der Siedlung einen Durchmesser von etwa 80 m. An einer Stelle fand man, in den Untergrund eingetieft, 2 Gruben von etwa 2,5 bis 3,0 m Länge und 1 m Tiefe unter der gegenwärtigen Oberfläche“.
Zitat: „Vorgeschichte der nordfriesischen Inseln“
Im März 2024 hat das Archäologische Landesamt S-H an der Fundstelle 139 eine „Notgrabung“ ausgeführt. Nach Beendigung der Grabungsarbeiten konnte man noch bei einer Grube kleine Hölzer und Steine aufheben, bevor die Grabungsstelle eingeebnet und mit einer etwa 40 cm hohen Erdschicht bedeckt wurde.
Bei einer späteren Untersuchung der Fundstücke A, B und C deutete vieles darauf hin, dass es sich bei dem trichterförmigen Erdloch um eine Teer-/Pechgrube handelt könnte, die mit Birkenrinde gefüllt und einer dickenTonschicht luftdicht verschlossen wurde. Anschließend hat man mit einem außerhalb gelegten Holzfeuer die Birkenrinde bei etwa 400 Grad verschwelt (Pyrolyse). Dabei konnten eine braune Flüssigkeit und Gase in ein Sammelgefäß abfließen und als Teer/Pech weiterverarbeitet werden.
Das Fundstück C wurde analysiert mit dem Ergebnis: „Anhand dieser beiden Substanzen (Lupeol und Betulin) kann die Birkenrinde eindeutig als „Birke“ identifiziert werden“. Universität Hamburg – Inst. für Organische Chemie
Durch den Schwelvorgang verwandelten sich die Rückstände der Birkenrinde in eine „flockige“ Holzkohle.
„Eine neue Meeresspiegelkurve für die südliche Nordsee“
Transgressionen und Regressionen in den letzten 10.000 Jahren
„Unter Benutzung zahlreicher in den letzten Jahrzehnten gewonnener Daten wird eine neue Meeresspiegelkurve für die südliche Nordsee vorgelegt. Sie umfasst den Zeitraum der letzten 10.000 Jahre. Neben geologischen Werten aus basalen und eingeschalteten Torfen wurden dazu in großem Umfang auch archäologische Daten mitverwendet. Dargestellt wird die Kurve des mittleren Tidehochwassers (MThw). Um die zwischen der Emsmündung und Sylt liegenden Daten trotz des unterschiedlichen Tidenhubs vergleichbar zu machen, wurden sie auf den Standardpegel Wilhelmshaven umgerechnet.
Das belgisch-niederländische System der „Calais- und Dünkirchen-Folgen“ wurde den deutschen Verhältnissen angepasst und mit den neuen Daten weiterentwickelt.
Das wichtigste Ergebnis ist der Nachweis von eindeutigen Meeresspiegelabsenkungen, die als insgesamt sieben Regressionen beschrieben werden. Sie sind gekenntzeichnet durch Vermoorungen, die nach vorangegangener Aussüßung gleichzeitig in größeren Gebieten eingesetzt haben, sowie durch Flachsiedlungen auf vorangegangenen Salzwiesen, die ebenfalls aussüßten.
Die klare Erfassung von Trans- und Regressionsphasen wird begünstigt durch die an der Deutschen Bucht vorhandene offene Küste, an der das Meeresspiegelgeschehen nicht durch große Strandwallsysteme abgeschirmt und verschleiert wird.
Abgeleitet von der neuen Anstiegskurve wurden für den Nordseeraum die früheren Küstenlinien rekonstruiert; des Weiteren wurden für den deutschen Küstenbereich anhand von archäologischen und historischen Daten die Uferlinien für die Zeit um Christi Geburt, um 800 und um 1500 n. Chr. dargestellt“.
Von Prof. Dr. Karl-Ernst Behre, Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung
A) Die Erdschichten über der Holzkohle deuten darauf hin, dass die Teer-/Pechgrube nach dem Pyrolysevorgang überflutet und durch die Wassermassen zusammengepresst wurde. Dies geschah vermutlich mehrmals, weil damals nach einer Meeresspiegelsenkung (Regression) die Sylter Marsch temporär wieder überflutet wurde.
Darüber schrieb Prof. Behre: „Nach dem Ende der Regression 2 um 1000 v.Chr. setzt die Dünkirchen Ia – Transgression ein, in die jedoch um 900 v.Chr. eine Ruhepause eingeschaltet ist. Aus dieser Phase in der jüngeren Bronzezeit stammt die bislang älteste deutsche Marschsiedlung, die in den letzten Jahren bei Rodenkirchen an der Unterweser ausgegraben wurde. (Strahl 2003). Ihre Höhenlage weist auf ein damaliges MThw von -1,80m. Wenig später wurden zwischen 650 und 550 v.Chr. Siedlungen (grüner Stern) auf dem linken Emsufer angelegt, die bis um 400 v.Chr. reichen und eine erneute, die 3. Regression anzeigen.
Auf die Regression 3 folgte die Dünkirchen 1b – Transgression, die sehr stark war und alle damaligen Siedlungen zerstörten“.
Quelle: „Mit archäologischen Methoden erfasste Meeresspiegelbewegungen“, Seite 3
B) Altersbestimmung der Birkenrinde aus der Fundstelle 139 durch Radiocarbon (14 C) Messung siehe Kalibrationsgrafik vom 12.08.2024.
Ergebnis: 95,4 % probability, 664 (51,0 %) bis 554 v. Chr.
Quelle: „Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie“, Mannheim
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